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Selbstdarstellung

Das Institut

Hans-Jürgen Krahls Person steht für den Versuch, die kritische Theorie, die drohte, in Resignation und einer durch die Erfahrungen des Faschismus traumatisch eingetrübten Urteilskraft ihre Wahrheit dranzugeben, in die realen gesellschaftlichen Konflikte und offenen Kämpfe der 60er Jahre zu tragen. Dem sich formierenden gesellschaftlichen Protest wurde damit die Möglichkeit eröffnet, an Traditionslinien anzuknüpfen, die durch den Faschismus abgeschnitten, zerschlagen oder ausgehöhlt waren und deren stimmlose Latenz der Restauration der Nachkriegszeit nichts entgegenzusetzen hatte. Die Spontaneität und geschichtliche Schwerelosigkeit des sich Luft machenden Unbehagens der Nachkriegsgeneration stellten Krahl und Dutschke vor die Organisationsfrage. Zum einen aktualisierten sie damit in Westdeutschland das uneingelöste Erbe der Arbeiterbewegung, das in deren etablierten Institutionen, den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie zu erlöschen drohte und stellten sich der Aufgabe einer gründlichen Selbstkritik und Selbstaufklärung über das angenommene Erbe. Zum anderen verhalfen sie dem westlichen Marxismus, der sich in Abgrenzung zum Sowjetmarxismus um eine vom Individuum ausgehende sozialistische Perspektive bemühte, zu einer Wirklichkeitsmacht, die ihm bis dahin abging, weil er entgegen eigener Intention eher im akademischen Rahmen verblieb. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Krahl, dessen Schriften das beredte Zeugnis des Leidens an eben dem Fragmentarischen, Zerstreuten und der Unorganisiertheit des westlichen Marxismus sind, bei den meisten der wenigen, die heute von ihm wissen als das fragwürdige Ideal der unverstandenen, vereinzelten und hochbegabten Theoretikerpersönlichkeit verehrt wird, das nach der Auflösung der Studentenbewegung wieder das Bild in der Linken beherrschte. Seitdem ist auch die Frage nach den Möglichkeiten und historischen Bedingungen einer die verschiedenen Perspektiven des gesellschaftlichen Elends integrierenden gemeinsamen Organisation wieder in den Hintergrund getreten und ein praktisches Anknüpfen an Erfahrungen der Neuen Linken und ihre Vorarbeiten, zum Beispiel das Organisationsreferat, das Krahl und Dutschke auf der SDS-Delegiertenkonferrenz 1967 hielten, steht weitestgehend aus.

Die Gründung des HJKI ist die Konsequenz aus unserem eigenen Politisierungsprozess in der Nachwendezeit, der geprägt war von der Erfahrung eines durch das weltweite Scheitern der sich kommunistisch nennenden Versuche noch verstärkten Grundgefühls der Alternativlosigkeit und Ausweglosigkeit des Kapitalismus. Angesichts des Scherbenhaufens, vor das die pervertierten Kommunismen die Gegenwart stellten, war die Organisationsfrage a priori verdächtig, nur ein neuerlicher Versuch totaler Herrschaft zu sein, auch und gerade bei denen, die willens waren, aus Faschismus und Stalinismus nicht nur aus staatsbürgerlicher Pflicht sondern aus empfundener Betroffenheit zu lernen. Dabei aber wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, denn wer auf die Beantwortung organisationspraktischer Fragestellungen verzichtet, für den wird diese Frage von den naturwüchsigen Strukturen der Wertvergesellschaftung beantwortet.
Die Erfahrung dieser auch selbstverschuldeten Marginalisierung emanzipativer Strömungen führte uns zu der Notwendigkeit, die Frage nach der Organisation als Vorbedingung jeder transformatorischen Theorie und Praxis wieder in den Mittelpunkt stellen. Die Gründung des Hans-Jürgen-Krahl-Instituts steht in dieser Konsequenz. Aufgabe des HJKI ist es, als eine Plattform der Organisationsfrage, den Dialog zwischen engagierten Einzelnen, ob organisiert oder unorganisiert, herzustellen, um deren Aspekte der gesellschaftlichen Totalität in die Konkretion einer diese Aspekte integrierenden organisatorischen Alternative aufzuheben.


Antizipatorische Organisation

"Wenn wir diese Gesellschaft verneinen wollen, und zwar in einer bestimmten Form verneinen wollen, so dass sich schon die ersten Keimformen anderer Beziehungen in unserer Organisation selbst andeuten, dann bedeutet das, dass jeder einzelne um der Freiheit des anderen willen von seinem einzelnen Egoismus abstrahieren muss, dass er sich selbst Unterdrückung auferlegen muss, wenn er mit der Freiheit des anderen, wie es heißt, will zusammenstimmen können."

Das Kapital muss als unbewusster Praxiszusammenhang der Einzelnen begriffen werden, dessen negative Totalität nur durch die bewusste Vereinigung der Einzelnen positiviert und durch die Integration aller Lebensprozesse in den historischen Verlauf einer bewussten Vergesellschaftung aufgehoben werden kann. Alle Versuche, den Zwang und die Gewalt der gegenwärtigen Organisation des gesellschaftlichen Lebens durch Bekenntnis, Protest oder Kampf abschaffen zu wollen müssen scheitern, solange nicht begriffen ist, was sich in der Gewaltförmigkeit der gesellschaftlichen Umstände ausdrückt, nämlich die naturgesetzliche, blinde Durchsetzung der gesellschaftlichen Interdependenzen und Angewiesenheiten der Einzelnen untereinander, die ihnen unbewusst sind und die sich gegen sie verselbständigt haben.
Der Ausweg aus der Entfremdung der unbewussten Gesellschaft ist folglich die sukkzessive Umkehr aller unbewussten und verdinglichten gesellschaftlichen Beziehungen in einer organisierten antizipatorischen Praxis, die nach ihren jeweiligen historischen Möglichkeiten und Bedingungen die entfremdeten Lebensprozesse reintegriert. Es kann aber in der Organisationsfrage nicht um die Konstruktion einer Automatik in der Aufhebung der Entfremdung gehen, sondern um die Ermöglichung historischer Produktion. Denn in der Ideologie geschichtlicher Eigengesetzlichkeiten oder den kybernetischen Visionen der Konstruktion eines vom Einzelbewusstsein unabhängigen gesellschaftlichen Funktionszusammenhangs kehrt die Entfremdung und die Verdinglichung von Verhältnissen wieder, die es zu überwinden gilt.


Zweck und Aufgabe von Theorie

"Die Organisation erst macht die Theorie verbindlich, aus der theoretischen Meinung eine praktische Wahrheit."

Theorie ist nur insofern "wahr", als sie sich in der Wirklichkeit realisiert, gegenständlich-praktische Wahrheit ist. Der Prüfstein theoretischer Wahrheit ist also nicht Plausibilität, das bessere Argument, logisch lückenlose Deduktion oder auch Falsifikation durchs Gegenbeispiel, sondern die objektive Aufhebung in der Wirklichkeit, die sie theoretisch antizipiert. Für eine Theorie gesellschaftlicher Transformation bedeutet das, dass sie sich in den Rahmen einer organisatorischen Praxis zu stellen hat, in dem die zu bewältigenden theoretischen Aufgaben und Problemstellungen aus den konkreten Erfordernissen der Organisationsarbeit aufsteigen und damit alle vergangene und zu leistende Geistesarbeit an eine sachliche Struktur rückgebunden wird, die sie teleologisch ordnet. Solcherart eingebunden in eine Sinnstruktur praktischer Vernunft kann Theorie sich aus einer bloß abstrakten Selbstverortung in einer den konkreten gesellschaftlichen Prozessen entfremdeten Geistesgeschichte lösen und in die Praxis eintreten.


Stand: Juni 2007