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"Der Verband hat keine Strategie"

Kritiker wollen Ausrichtung der Studierendenorganisation der Linkspartei neu diskutieren. Ein Gespräch mit Michael Grewing

Michael Grewing, 21 Jahre, studiert Germanistik und Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist Mitglied der dortigen Hochschulgruppe von Die Linke.SDS und Referent des AStA der Ruhr-Universität für kritische Wissenschaften.

Der Studierendenverband Die Linke. SDS hält am Pfingstwochenende unter dem Motto "Bildung in der Krise" einen Bundeskongreß in Potsdam ab. Sie wollen auf dieser Veranstaltung einen Strategiewechsel initiieren. Was kritisieren Sie an der bisherigen Ausrichtung des Verbandes?
Daß er keine Strategie hat. Es ist eine absurde Situation. In der letzten Ausgabe des verbandsinternen Organs, das den Bundeskongreß inhaltlich vorbereiten soll, kann man den Satz lesen: "Mit einem gut ausgeprägten Profil erreicht man mehr Menschen als durch einwöchigen Medienrummel." Die oberflächliche Selbstkritik am Aktionismus des Verbandes verdeckt den Blick auf den strukturellen Opportunismus dahinter. Die Menschen sollen nicht mit bestimmten Inhalten erreicht werden, sondern bestimmte Inhalte, gewissermaßen Alleinstellungsmerkmale des Verbandes als Anbieter, sollen es erleichtern, mehr Menschen zu erreichen. Das ist eine Zweck-Mittel-Verkehrung.

Aber der Verband kann doch in der kurzen Zeit seines Bestehens einige Erfolge aufweisen: Die Zahl der Hochschulgruppen ist von 34 auf knapp 50 angewachsen, der 68-Kongreß war die größte sozialistische Studierendentagung seit 20 Jahren. Und auch die Kampagne »Kapital-Lesebewegung« mit insgesamt mehr als 2100 Teilnehmern ist ein Erfolg.
Aber was ist das Kriterium eines politischen Erfolges? Quantitäten sind nur aussagekräftig, wenn sie auf qualitative Größen bezogen sind. Wohin führt die Mobilisierung? Und ermöglicht die organisierte »Kapital«-Lektüre den durch sie Geschulten eine größere politische Selbständigkeit? Der Widerspruch zwischen dem gewaltigen Arbeitsaufwand der Kampagnen und der Ahnung, daß sie ohne strategischen Sinn doch nur "viel Lärm um nichts" sind, erzeugt in den Worten der Psychologie eine kognitive Dissonanz, die auf eine Art reduziert oder gelöst wird wie im Märchen von "Des Kaisers neuen Kleidern". Anders ist nicht zu erklären, daß im Verband keiner wagt, diesen Widerspruch zu benennen und offen über Strategiefragen zu diskutieren.

Würde sich eine Verpflichtung des Verbandes auf eine bestimmte Strategie nicht sektiererisch auswirken?
Bei der Sektiererei wird die freie Diskussion unterdrückt, im Opportunismus hat sie keine praktische Bedeutung. Ein sozialistischer Studierendenverband aber braucht innere Demokratie, und das bedeutet nicht nur die freie Diskussion von Argumenten auf der Grundlage eines gemeinsamen Interesses, sondern auch die organisatorische Verbindlichkeit ihrer Resultate. Nur wenn die Strategie demokratisch diskutiert und entschieden wurde, ist auch die Taktik für alle transparent. Gegen die Transparenz von Entscheidungsprozessen kann nur etwas haben, wer andere als die vorgeblichen Interessen hat.

Was ist nun aber Ihr Strategievorschlag, den Sie zur freien Diskussion stellen wollen?
Unser Vorschlag stellt sich bewußt in die antiautoritäre Tradition des historischen SDS. Die sozialistische Politik an der Hochschule muß Teil des sozialistischen Transformationsprozesses insgesamt sein. Den Studierenden fällt dabei, durch ihre zukünftige Stellung im Produktionsprozeß eine bestimmte Aufgabe zu. Die praktische Wissenschaftskritik, die inhaltliche und formale Zurücknahme der Trennung von Hand- und Kopfarbeit in einer antizipatorischen Organisation von proletarischen Bildungseinrichtungen, die integraler Bestandteil sozialistischer Organisierung überhaupt sein müßte. Der SDS könnte dazu die Keimform bilden.

Ist das nicht utopisch?
Nicht wenn damit eine Perspektive revolutionärer Berufspraxis verbunden wäre, also der bewußte Aufbau einer ökonomischen Infrastruktur für die Zeit nach dem Studium. Das ist zunächst keine Massenperspektive - die kann nur in Massenkämpfen errungen werden, in denen es unmittelbar um Sozialisierungen geht -, sondern eine des Aufbaus von Brennpunkten, um solche Kämpfe allererst zu initiieren.

Das Interview erschien am 25. Mai 2009 in der Tageszeitung junge Welt. Geführt hat es Helge Buttkereit, wir veröffentlichen es mit freundlicher Genehmigung des Autors.