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Rezension im Widerspruch

Praktischer Sozialismus – Antwort auf die Krise der Gewerkschaften

Von Rainer E. Zimmermann, erschienen in Widerspruch 47, Juli 2008

Die Autoren, welche dem Hans-Jürgen-Krahl-Institut angehören, legen eine Skizze zu einer alternativen, an der politischen Ökonomie orientierten Staatstheorie vor, sich dabei auf den Marxschen Gedanken besinnend, „die radikale Aufhebung der Entfremdung sei die ‚wirkliche Bewegung’“ (8), als Antwort vor allem auf die gegenwärtige Krise der Gewerkschaften verstanden, ohne freilich in diesem Rahmen die genaue Explikation einer allgemeinen Gewerkschaftstheorie leisten zu können und leisten zu wollen. (9)

Die Darstellung beginnt mit grundsätzlichen – heute oftmals aus dem Blick geratenen – Erwägungen, in deren Zusammenhang Gewerkschaften als „Angebotskartelle von Arbeitskraftbesitzern“ definiert werden, so dass ihre Grundlage „mithin [im] Fortbestehen des Lohnarbeitsverhältnisses“ besteht. (10) Dabei wird zugleich auf den Doppelcharakter der Beziehung zwischen Kapitaleigner und Arbeitskraftbesitzer verwiesen, insofern der erstere gleichfalls Arbeitskraft besitzt (neben den Produktionsmitteln also einen weiteren Aspekt, der seine Unabhängigkeit befördert) und der letztere im übrigen auch Konsument ist, aus Produktionsangeboten also auszuwählen vermag, um die eigene Reproduktion abzusichern. Dadurch bewirkt eine Gefährdung der Reproduktion der Arbeitskraft letztlich auch eine Gefährdung des gesamten Kapitalverhältnisses. Gleichwohl tendiert das reale Vertragsverhältnis der beiden Parteien nach wie vor zum Unterschreiten des Wertes von Arbeitskraft durch ihren Preis, eben gerade auf Grund jener Asymmetrie in den Voraussetzungen für die beiden Vertragsparteien. (11) Die Gewerkschaften fungieren in diesem Zusammenhang als Regulatoren des Kapitalverhältnisses, indem sie jener Tendenz entgegenzuwirken trachten. Somit haben sie im Kapital nicht nur ihre organisatorische Vorbedingung, sondern stabilisieren zudem die Systematik des Lohnarbeitsverhältnisses, das aus seiner Logik folgt. In diesem Sinne besteht insbesondere das Dilemma der Gemeinwirtschaft darin, dass die Gewerkschaften – welche die letztere in stringenter Konsequenz einzuführen haben, um nicht selbst dem Kapital zuzuarbeiten, unter dessen Logik sie aber dadurch zwangsläufig geraten – ihr ursprüngliches Ziel, nämlich Vollbeschäftigung und Einheit der Arbeitnehmer als Ausdruck einer einzigen gesellschaftlichen Klasse herzustellen, nicht erreichen können, weil sich ihre Aktivität allein auf Vertragsverhältnisse richten muß, von denen zum Beispiel die Arbeitslosen nicht erfasst sind. (13)

Im Grunde kreist alles um das rechtsstaatlich strukturierte Vertragsverhältnis selbst, das die Gewerkschaften (als Kartell gesehen) zwar auf antagonistische Weise den Kapitaleignern entgegenstellt – insofern nämlich die ihnen freigestellte Streikpraxis deutlich subversive Züge trägt – zugleich aber bewirkt, dass die unterliegende (wesentlich kapitalistisch strukturierte) Systematik immer schon vorausgesetzt wird. Wie die Autoren schreiben: „Der Widerspruch zwischen der Organisationsform der Gewerkschaften als Kartell und der in ihnen stattfindenden subversiven Praxis des Streiks verhält sich komplementär zum Kapitalverhältnis, in welchem die Forminhalte gesellschaftlicher Arbeit durch die Form der Produktionsverhältnisse und des gesellschaftlichen Verkehrs negiert sind.“ (27) Sie weisen darauf hin, dass der Bundesvorstand des DGB deshalb – dieser Logik folgend – im Jahr 1987 den Ausstieg aus der Gemeinwirtschaft beschlossen hat. (29)

Dem entgegengerichtet, entwerfen die Autoren eine Konzeption, die in erster Linie darauf abzielt, die Rückkehr zur (freilich neu interpretierten) Gemeinwirtschaft zu propagieren. Denn vor allem gehe es gerade um das Ziel der gewerkschaftlich organisierten Lohnabhängigen und gemeinwirtschaftlich Produzierenden, das Kapital durch eine Gemeinwirtschaft zu ersetzen. (29) Eine solche Herangehensweise an die Konzeption der Gemeinwirtschaft könne sich den Selbstwiderspruch des Kapitals zunutzemachen und „eben jene Produktivkräfte für ihre erweiterte Reproduktion verwenden, die das Kapital wegen ihrer mangelnden Pofitabilität nicht mehr zu gebrauchen weiß ...“ (ibd.) Die Autoren führen weiter aus: „Das wesentliche Hemmnis in den Arbeitskämpfen lag bislang in dem gemeinsamen Interesse von Kapitalist und Arbeiter am Erhalt des Unternehmens, der Voraussetzung des Erhalts der Arbeitsplätze war. In dem Maße, wie sich die Arbeiter/bewegung von Kapital und Staat selbständig machte und den ‚Sozialismus in einer Klasse’ durch den Ausbau der Gemeinwirtschaft selbstorganisierte, verlöre die Drohung mit dem Arbeitsplatzverlust tendenziell an Wirkung und könnte der Arbeitskampf direkt mit dem Ziel geführt werden, das bestreikte Unternehmen zu sozialisieren, seine Eingliederung in die Gemeinwirtschaft vorzubereiten.“ (29 sq.)

Bemerkenswert ist dabei auch der Umstand, dass ein solcher Prozeß keine Konnotationen aus dem Begriffsfeld klassischer Revolutionsterminologie aufwirft: „Die Demokratie ist allerdings“, so ergänzen die Autoren an dieser Stelle, „eine der unabdingbaren Voraussetzungen der hier diskutierten Strategie, insofern zumindest die Legalität von Arbeitskämpfen, gemeinwirtschaftlichen Produktionsformen und die Grundrechte garantiert sein müssen.“ (31)

Der hier vorgelegte Text eröffnet eine durchaus neue Perspektive auf alte Probleme, auch, wenn die Terminologie wesentlich aus der bekannten marxistischen Tradition schöpft und auch nicht immer deren sprachliche Probleme zu vermeiden imstande ist. Es gibt zudem einige Punkte – vermutlich der Kürze des Textes und seinem erklärten Skizzencharakter geschuldet – die kritische Rückfragen provozieren: So ist es zum Beispiel fraglich, ob wir heute noch die Wirtschaft tatsächlich allein auf der Grundlage rationaler Profitmaximierung betrachten können. (10, 28) Und es erhebt sich zudem die Frage, welche genauen Bedürfnisse der durchschnittliche Arbeitskraftbesitzer eigentlich hat – auf ein schwieriges Überbau-Problem verweisend. (16) Außerdem ist das alte Problem des Konfliktes zwischen bourgeois und citoyen, das im Text mitunter angedeutet wird (28, 34 Anm. 5), offenbar nicht zureichend geklärt (damit wäre die Theorie wohl auch überfordert).

Aber dieser kleineren Einwände ungeachtet, lohnt es sich doch, diesen Text aufmerksam zu lesen, weil er auf zureichend nüchterne und unaufgeregte Weise der Erhellung durchaus komplexer gesellschaftlicher Zusammenhänge dient. Gerade in der theoretischen Tradition von Hans-Jürgen Krahl sind solche Texte überaus wünschenswert.

Wir danken dem Autor für die Genehmigung, seinen Text auf unserer Website zu publizieren.

Stand: August 2008